21.Juli 2017 - Tag 56 - haase-news

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21.Juli 2017 - Tag 56

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Noch ein paar Worte zu gestern für alle, die es nicht schon gelesen haben:

Ich kam ziemlich müde in Cluis an, sah nach der Adresse der Pilgerherberge, fand den Schlüssel unter dem Stein und richtete mich häuslich ein (wie gestern beschrieben).

Nach etwa 2 Stunden kam es mir seltsam vor, dass niemand vorbeischaute. Also beschloss ich anzurufen. Dabei stellte ich fest, dass ich mein Häkchen gar nicht bei der Pilgerherberge gemacht hatte, sondern bei der privaten Gite "Chez nous". Ich saß also seit 2 Stunden in der falschen Herberge Ich hätte einfach gehen können, aber ich hatte immerhin mein Handy dort aufgeladen und wollte den Strom dafür auch bezahlen. Ich rief also die zuständige Dame an, die sehr verständnisvoll sofort kam. Sie wollte kein Geld, nahm es aber dann "für die Assoziation (Gesellschaft)" doch an. Diese Gesellschaften managen den ganzen Betrieb auf freiwilliger Basis und stecken privates Geld in die Herbergen. Da ist es nur recht und billig, wenn man als Pilger für solche Kosten (nicht sehr hoch) gerade steht.

Mit Sack und Pack zog ich also ein paar Häuser weiter zur Gite "Chez nous". Sie wurde von einer jüdischen Familie betrieben, deren Familienverhältnisse mir nicht ganz klar geworden sind: der Großvater Michele, ein geradezu weiser, sehr weltoffener Patriarch, eine sehr zurückgezogen, fast schüchtern wirkende Frau, möglicherweise krank, der Sohn oder Enkel, der den Papierkram der Herberge erledigte und auch für das Essen sorgte.

Gäste waren außer mir ein englisches Ehepaar, das sich in Cluis ein Haus gekauft hat oder kaufen wollte und ein junges französisches Mädchen aus dem Südwesten, das sowohl glutäugig, als auch etwas schüchtern war. Ihren Namen habe ich leider vergessen.

Schon vor dem gemeinsamen Abendessen, bei einem Aperitif, ging es dann los. Die Freude war groß, dass ich außer Französisch auch Englisch sprechen konnte. Und so kamen wir ganz schnell in interessante Gespräche, die sich während des Abendessens und nachher fortsetzten. Ob das Essen koscher war? Ich glaube nicht, obwohl ich da kein Fachmann bin. Aber es gab nach dem Hauptgang, einer scharfen Wurst in einem Reiseintopf, sowohl Käse als auch Eis. Das ist, wenn ich recht informiert bin, für traditionelle Juden undenkbar. Aber, wie gesagt, das Haus war sehr weltoffen. Die Gespräche drehten sich deshalb ganz natürlich um Religion, Literatur, Wissenschaft, Mathematik usw. Ich konnte nicht anders: ich musste unbedingt mal wieder mein heißgeliebtes Fehlerparadoxon anbringen. ("Diser Satz enthält drei Feler." Ist der Satz wahr oder falsch? Vorsicht - man bekommt Knoten ins Gehirn, wenn man darüber nachdenkt )

Nach dem Abendessen zeigte mir Michele noch sein Reich: der gesamte zweite Stock des Hauses war sein Büro, in dem mehrere Apple-Computer standen. Von hier aus ist er mit der ganzen Welt per Video-Konferenz verbunden. "Warum sollte ich in Paris leben?", meinte er. "Cluis ist der Mittelpunkt der Welt."

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen lud er mich ein, dabei zu sein, wie er mit einer amerikanischen Gesprächspartnerin sprach. Es war wirklich ein Erlebnis, zuzusehen, wie der alte Mann (der übrigens eine tolle Bibliothek hatte) mit der Technik umging.

Gegen 8 Uhr kam ich dann doch aus dem Haus, herzlich von Großvater und Enkel verabschiedet. Ich hatte mich kurzfristig entschlossen, nicht den geplanten Direktweg von Cluis nach Crozant zu gehen, sondern die historische Route über Gargilesse. Das habe ich nicht bereut. Der Weg ging schon mit einem Highlight los: einem 500 m langen und ca. 30-40 m hohen Viadukt, über das man gehen musste. Die technische Meisterleistung von 1899 aus Bruchsteinen war schon ein Erlebnis. Auch danach war der Weg wunderschön zu gehen: er war zum großen Teil ein Wiesen- oder Waldweg und enthielt nur sehr wenige Asphaltstrecken.

Hier in Gargilesse gönnte ich mir ein Mittagessen und besuchte die Kirche mit einer sehr sehenswerten Krypta. Vor allem die Deckenfresken waren einen Besuch wert. Danach fand ich das Tourismusbüro, und eine freundliche junge Dame führte mich in die Herberge und zeigte mir mein Zimmer. WLAN gibt es hier nicht, aber ich habe mein Datenvolumen für diesen Monat aufgestockt.

Das Frühstück muss ich morgen wieder selbst organisieren. Das bedeutet: ich bin wieder früh auf den Beinen. Diesmal geht es an einem Stausee entlang nach Crozant.

Meinem Bein scheint es besser zu gehen. Es war heute schon nicht mehr so druckempfindlich wie gestern. Ich denke, mit dem Blutstau lag ich schon richtig.
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